Rose Scooler. 1947 in Deggendorf // Privatarchiv Sibyl Ruth

Rose Scooler kam als Rose Guttfeld 1882 im ostpreußischen Ortelsburg (Szczytno im heutigen Polen) zur Welt. Als älteste Tochter eines erfolgreichen Anwalts wuchs sie in einer liberalen, bürgerlichen jüdischen Familie in Berlin auf. Mit 17 Jahren heiratete sie den viel älteren Sidney Scooler und lebte mit ihm und ihren beiden Söhnen Werner und Walter in Porschendorf. 1928 wurde sie Witwe. Ihre Söhne übernahmen die Fabrik ihres Vaters.

Mit der Machtübernahme der NationalsozialistInnen kam es 1938 zur Enteignung; Werner und Walter bemühten sich um eine Auswanderung, was misslang.

1940 zog Rose Scooler mit ihrem Sohn Walter nach Berlin. Über ihr Leben dort ist leider nichts bekannt. Es ist aber davon auszugehen, dass es prekär und von großer Angst und Unsicherheit geprägt war. Am 11. Januar 1944 wurde Rose Scooler in das Konzentrationslager Theresienstadt (Terezín im heutigen Tschechien) deportiert. Dort musste sie Zwangsarbeit leisten, indem sie Glimmer für die deutsche Wehr- macht spaltete. Diese Arbeit rettete ihr das Leben, denn wer für diese Arbeit eingeteilt war, wurde nicht auf Transport in ein Vernichtungslager geschickt.

Nach der Befreiung durch die sowjetische Armee im Mai 1945 kam Rose Scooler in das Displaced Person Camp im bayrischen Deggendorf, wo sie ihren Sohn Walter wiedertraf. Sie folgte Walter und seiner Frau Hanna in die USA, wo sie 1985 im Alter von 103 Jahren in St. Paul, Minnesota, starb.1

Von ihrer Nichte Ann Lewis, die nach England emigrierte, wird Rose Scooler als eine sehr ehrwürdige, formelle Frau beschrieben, die es erwartete, nicht mit einer Umarmung, sondern mit einem Knicks begrüßt zu werden. Ann Lewis verbrachte als Kind jeden Sommer in Porschendorf und hatte diese Zeit trotz der vielleicht etwas kühlen Art ihrer Tante in guter Erinnerung. Sibyl Ruth gibt die Erzählungen ihrer Mutter über diese Zeit so wieder:

»All die Geschichten, die meine Mutter liebte, über ihre Kindheit zu erzählen, bezogen das große Haus, seine Gärten, ihre Freiheit, um das Dorf zu stromern, ein. Für sie war es ein Ort, wo die Sonne immer schien.«2

Rose Scooler schrieb immer Gedichte, auch in Theresienstadt. Darin beschreibt sie Alltag, Enge, Gestank im Lager, aber auch Gefühle wie Angst, Müdigkeit, Hoffnung. Das Besondere dieser Gedichte ist die Mischung aus altmodischer Formgebung und drastischem Inhalt. Fünf Gedichte, die Rose Scooler in Theresienstadt schrieb, zeigen wir hier.


Quellen:
1 www.modernpoetryintranslation.com
2 www.theguardian.com
Wir danken Sibyl Ruth, Großnichte von Rose Scooler, für die freundliche Erlaubnis, die Gedichte abdrucken zu dürfen.

Träumerei im Glimmer

Noch einmal möchte morgens ich erwachen
Und hören, wie im Zimmer neben mir
Der Wecker leise dich zum Aufstehn mahnet
Und wie du gehst und klappend fällt die Tür.
Ich möchte wieder glätten deine Kissen,
In denen in der Nacht geruht du hast,
Und ordnen können unsre lieben Räume,
Dass schön du fändest sie zur Abendrast.

Noch einmal möchte ich beim Nachtmahl sitzen
Dir gegenüber an dem Tisch alsdann,
Mich freuend, wenn du lobst, was ich bereitet,
Und plaudernd hören, was du heut getan.
Ich möchte lauschen mit dir unserm Radio,
Das eine ganze Welt ins Zimmer bringt,
Und spüren, wie der Duft von deiner Pfeife,
Das Rascheln deiner Zeitung zu mir dringt.

Noch einmal möchte ich im Auto fliegen
An deiner Seite durch Gebirg und Tal,
Die Märchenwelt vorübergleiten sehen,
Was alles möchte ich wohl noch einmal!
Da fahre ich empor aus meinen Träumen
Ach, dass ich immer noch im Glimmer bin!
Ich höre eine Stimme mahnend sagen:
»Es ist recht wenig in dem Kasten drin.«

Die Tage in Theresienstadt

Wir waren 50 auf dem Boden,
Wo ich die schwerste Zeit verbracht.
Gehungert hab ich und gefroren
Und manche lange Nacht verwacht.
Ich hab gelernt, wie schmerzzerissen
Man hier zu vegetieren hat,
Und dennoch möchte ich nicht missen
Die Tage in Theresienstadt.

Als Ordonnanz bin ich gelaufen
In Frost und Hitze hin und her,
Die vielen Treppen auf und nieder,
Oft glaubte ich, es ging nicht mehr.
Und schliesslich hab ich spalten müssen
Im Glimmer frohnend Blatt um Blatt,
Und dennoch möchte ich nicht missen
Die Tage in Theresienstadt.

Ich habe Viele hier getroffen
In denen durch die Not der Zeit
Der Sinn erstarb für Menschenwürde
Oft schon für blosse Freundlichkeit.
Doch fand ich andre, die noch wissen,
Was Güte heisst und Liebestat.
Schon darum möchte ich nicht missen
Die Tage in Theresienstadt.

Vale Terezin

Und wieder reisst das Schicksaal auf die Tür
Und stösst uns nun hinaus mit harter Hand,
Wie schon so oftmals in der letzten Zeit,
In Neuland, uns noch fremd und unbekannt.

Es trieb uns aus der alten Heimat fort,
Versetzte uns so manchen harten Schlag.
Fast war man schon geborgen in Ka-Zet.
Wohin der Weg uns jetzt wohl führen mag?

Wir wissen nicht, was draussen vor sich geht,
Wo unsre Lieben sind – wer da noch lebt!
Man ist so wund geworden, dass man schon
Bloss im Gedanken an Gewissheit bebt.

Ode an mein Bett in Theresienstadt. My bed - my castle

Nenne mir, Muse, den Ort, wo im Ghetto mein Lager ich aufschlug,
Speisesaal wie auch Salon, Schlafraum und Bibliothek,
Vorratskammer für Speise und Trank – und dies alles in einem
Auf zwei Meter Geviert – siehe, es nennt sich mein Bett.

Herrlich ist es gefüget aus ehemals wirklichem Holze,
zweietagig nicht nur, sondern auch doppelgereiht.
Hart sind und vorsintflutlich die gräulichen alten Matratzen
Und in den sperrigen Fugen haust munter ein bissig Getier.

Über mir wohnet zurzeit eine würdige ältere Dame,
Blind fast und taub. Das ist schlimm; doch weit schlimmer ist,
finde ich, dies
Dass ihre Nachbarschaft schwer ohne Gasmaske ist zu ertragen,
Dass aber leider uns fehlt hier dies überaus wicht’ge Gerät.

Neben mir pflegt eine jüngere Lady schnarchend zu schlummern
Lebhaft ist oftmals ihr Träumen, dass davon erbebet ihr Bett.
Manches Mal lieget auf tagüber krank sie daheim in den Federn
Neben ihr sitzet der Freund, der sie liebend und sorgsam betreut.

Unterwärts – doch nur zur Hälfte – stehen staubige Koffer
und bergen
Köstlicher Güter Besitz, als wie Kleidung und Wäsche und Schuh,
Lebensmittel und Hausrat und sonstige löbliche Dinge,
Denen man hier in dem Städtchen nur schwer zu entraten vermag.

Schau nur die Policzkas an zu den Häupten und Füßen des Bettes,
Zierlich geordnet stehn dort all die Töpfe und Töpfchen gereiht
Auch die Aromaphiolen und edelsten aller Gewürze,
Selleriesalz und was sonst Dir noch bot der treffliche Bazar.

So wie die Policzkas dort von den reinlichen Tüchern verhüllt sind,
Also auch decket die Polster ein prächtiges seidenes Tuch
Lila ist es, in buntesten Farben gestickt und schmückte
Einstmals als festlich Gewand eine füllige Morgenlandsfrau

Gastlich ladet zum Sitzen die hölzerne Bank vor dem Bette,
Aber sie täuschet auch Waschtisch und Schreibsekretär mir hier vor,
Fürder die Bar für das Mixen der alkoholfreien Getränke,
Wie auch die Tafel zum Speisen des lecker bereiteten Mahls

O du mein Bett, du mein ein und mein alles im trostlosen Ghetto
Bist doch das Einzige, du, das mir wirklich allein zugehört.
Wundervoll ist es, zu ruhen in dir und zu träumen; nur leider
Jaget der Wecker mich stets allzu früh in den Glimmer hinaus.
Oder: aus dem lauschigen Pfühl.

 

Abfahrt der Dänen
Geschrieben in Theresienstadt zur Melodie von Beethovens "Ode an die Freude"

Freude war in Trojas Hallen!
Auf dem Markt erscholl Musik,
Eine Hymne nach der andern
Jublend auf zum Himmel stieg.

Denn die Dänen sollten reisen
Frei und glücklich von hier fort.
Eingeholt wie im Triumphzug
So verliessen sie den Ort.

Alles Volk war auf den Gassen.
Bildete für sie Spalier.
Ordner hielten frei die Mitte
Kette machen da und hier.

Endlich kamen an die Wagen,
Die sie alle führten weg.
Innen sassen frohe Menschen,
Obenauf lag das Gepäck.

Lauter schöne, helle Autos
Mit dem grossen Schwedenkreuz.
Bei den Fahren an den Kappen
War zu sehn das Rote Kreuz.
Hinterher die vielen Wagen
Mit dem herrlichen Proviant.
Hunger werdet ihr nicht leiden
Unterwegs bei solchem Pfand

Vivatrufen, Tücherschwenken,
Freudestrahlen überall.
Nein, man hat uns nicht vergessen,
Uns auch holt man bald einmal!

Konzentrationslager Theresienstadt

Theresienstadt (Terezín im heutigen Tschechien) ist eine alte Garnisonsstadt, die etwa 60 Kilometer von Prag und 80 Kilometer von Pirna entfernt liegt.

1941 errichteten die NationalsozialistInnen in Theresienstadt ein ghettoähnliches Lager für tschechische Jüdinnen*­Juden, ältere Jüdinnen*Juden und Personen mit »besonderen Verdiensten« aus Deutschland, die zum Beispiel Träger von hohen Kriegsauszeichnungen des Ersten Weltkriegs oder von Verwundetenabzeichen waren. Interniert waren aber auch Jüdinnen*Juden aus Österreich, den Niederlanden und Dänemark. Theresienstadt war für viele eine Durchgangsstation zu den Vernichtungslagern.

Die Lebensbedingungen im Lager waren kaum zu ertragen. Viele Internierte starben aufgrund der Kälte und Enge, des Mangels an Nahrungsmitteln, fehlender Medikamente für grassierender Krankheiten und Seuchen und der Zwangsarbeit.

In Theresienstadt organisierten die Jüdinnen*Juden verschiedenste pädagogische und kulturelle Aktivitäten. Künst­ler*innen und Schriftsteller*innen gaben in Theresienstadt Konzerte, Lesungen und Theateraufführungen. Es existierte eine Bibliothek, die über 60.000 Bücher umfasste. Das Kulturleben sollte Kraft und Normalität stiften. Es war ein Selbstschutz.

Am 23. Juni 1944 war es einer Untersuchungskommission des Internationalen Roten Kreuzes erlaubt, Theresienstadt zu besichtigen. Dafür wurden fiktive Cafés, Geschäfte,
Kindergärten, Schulen und eine mit Ghetto-Geld arbeitende Bank eingerichtet und blühende Gärten angelegt. Vor dem Besuch wurden allerdings besonders viele Häftlinge in die Vernichtungslager deportiert, um den Eindruck der Überbelegung zu vermeiden. Nach dem Besuch wurde der Propagandafilm mit dem zynischen Titel »Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet« über das scheinbar gute Leben der Jüdinnen und Juden unter dem Schutz des Dritten Reiches produziert. Nach den Dreharbeiten wurde der Großteil der Darsteller*innen nach Auschwitz deportiert.

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs gelang es dem Internationalen Roten Kreuz nach langen Verhandlungen mit der SS, Jüdinnen*Juden aus Theresienstadt zu bringen. So konnten am 5. Februar 1945 1.200 Menschen in die Schweiz ausreisen und am 15. April konnten dänische Jüdinnen*Juden nach Schweden. Für etwa zwei Wochen übernahm dann das Internationale Rote Kreuz die Verantwortung für Theresienstadt und am 9. Mai 1945 übernahm die Rote Armee die Leitung des Lagers.

Insgesamt waren mehr als 155.000 Jüdinnen*Juden in Theresienstadt. Etwa 35.400 von ihnen kamen aufgrund der katastrophalen Lebensbedingungen dort um – durchschnittlich 100 Menschen am Tag. Etwa 88.000 Menschen wurden in die Vernichtungslager geschickt. Weniger als 20.000 Menschen überlebten die Zeit in Theresienstadt.


Quelle:
www.yadvashem.org, www.bpb.de, www.dhm.de

 

Zum Besuchen:
Gedenkstätte Terezín Memorial
Terezín Memorial
Principova alej 304 | CZ – 411 55 Terezín
www.pamatnik-terezin.cz

Zum Begegnen:
In Theresienstadt wurde eine Begegnungsstätte errichtet, in der Geschichte erlebbar gemacht und Begegnung mit Jugendlichen über Grenzen hinweg ermöglicht wird. Hier sind die Ansprechpartner*innen Freiwillige der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und vom Verein Gedenkdienst. In der Gedenkstätte können jungen Menschen einen Freiwilligendienst mit Aktion Sühnezeichen Friedensdienste absolvieren.

Die Freiwilligen sind hier ereichbar: https://jugendbegegnung.de/terezin/
Die Kommunikation findet auf Facebook statt: www.facebook.com/jugendbegegnung.de
https://jugendbegegnung.de/dresden/